Willensfreiheit

Über den freien Willen wird seit langem gesprochen und geschrieben. Das wird wohl noch lange so bleiben. Die Haupt-Frage dabei scheint zu sein, ob es ihn denn gibt. Also ob der Wille frei sei.

Seltener scheint gefragt zu werden, was der freie Wille denn überhaupt sein soll; was also mit diesem Wort „freier Wille“ denn überhaupt bezeichnet sein soll. Das ist auch mein Problem. Erst nach Übereinstimmung über diesen Begriff sollte man wohl nach der Existenz eines solchen Gegenstandes fragen.

Ich möchte versuchen, diese Frage konstruktiv darzustellen. Denn es braucht anscheinend einigen Aufwand, eine solche Verständnisfrage hinreichend zu formulieren.

Eine nähere Erklärung oder Definition der Worte Freiheit und Wille sollte einer solchen Darstellung vielleicht vorausgehen. Auf Anhieb zu finden sind aber anscheinend überwiegend Umschreibungen, wie man sie jemandem gibt, der das Wort nicht kennt, oder um den Gegenstand der Darlegung einzugrenzen. Ich setze eine Bekanntheit der Wörter hier voraus und gebe nur eine Abgrenzung für meine Zwecke.

In einem „Philosophischen Wörterbuch“ (Hrsg.: Schischkoff, 1991) steht: „Freiheit, die Möglichkeit, so zu handeln, wie man will. Freiheit ist Willensfreiheit. Der Wille ist seinem Wesen nach stets freier Wille. …“ Mal auf meine Frage-Dimension reduziert, scheinen manche unter Willensfreiheit etwas anderes zu verstehen, etwas Zusätzliches: Eine Unabhängigkeit des Willens selbst.

Es wird dort anscheinend ein Unterschied gemacht zwischen gewöhnlicher („äußerer“) Freiheit und Willensfreiheit. Erstere betrifft z.B. die Situation, dass man im Gefängnis sitzt. Angenommen, man will raus, kann aber nicht. Dann ist man insoweit nicht frei. In einem allgemeineren blasseren Sinne wird von Freiheit auch gesprochen, wenn man durch natürlich oder zufällig gegebene Umstände an der Verfolgung eines Ziels gehindert wird. Man ist z.B. bei einer Bergwanderung nicht frei, zu einem zunächst beabsichtigten Ziel zu kommen, weil ein Felsblock im Weg ist. Ein Kundigerer mag den umgehen oder überwinden können, wird sich aber deswegen nicht als erfolgreich selbst Befreiten ansehen. Ebenso die Verwendung der Bezeichnung „Freiheitsgrad“ in Physik und Technik. Dies hier nur, um Nuancen der Verwendung von „Freiheit“ anzudeuten.

Bei der derzeitigen Verwendung von „Willensfreiheit“ nun scheint es nicht um die erste Bedeutung (unfrei wie im Gefängnis) zu gehen, machen zu können, was man will. Sondern um eine vorgelagerte Freiheit des Willens selbst, die nach Meinung mancher wegen einer gewissen „Determiniertheit“ von Gehirnvorgängen nicht gegeben sein soll. Dabei kann aber wohl nur die oben angeführte zweite, physikalisch-technische Bedeutung gemeint sein, sofern damit nicht das Wirken irgendwelcher Hintermächte im Gehirn gemeint ist, gegen die der Wille nicht ankommt. Aber auch dann weiß ich (zumindest als Naturalist) nicht, welche Instanz (kleines Männchen im Gehirn?) das sein soll, die von den biologisch beschreibbaren Vorgängen hilflos abhängt. Wenn doch die betroffene Person ganz von diesen Strukturen und Prozessen konstituiert wird. Welche Schnittstelle gibt es dort wozwischen? Wo kann dort von Freiheit oder Abwesenheit von Freiheit die Rede sein?

Wobei mir die Rolle der Determiniertheit von „Naturvorgängen“ hier nicht klar ist: Wo könnte sich aus Indeterminiertheit denn eine größere Freiheit ergeben? Vielleicht bei dem kleinen Männchen im Gehirn, das gegen das determinierte Geschehen nicht ankommt, aber das indeterminierte (sonst zufällige) von seiner Seite aus lenken könnte? Die Frage wäre dann wohl auf die Frage der inneren Freiheit des kleinen Männchens verschoben.

Man spricht wohl auch von einem Ich, das den materiellen Strukturen gegenübersteht. Einige, die sich (wie ich mich eigentlich auch) als Naturalisten sehen, scheinen dann zu denken: dieses „Ich“ gibt es nicht, aber es macht sich über seine Existenz Illusionen.

Auf eine solche Abwesenheit von „Willensfreiheit“ gründen manche dann anscheinend die Ansicht, dass Menschen für Vergehen nicht bestraft werden dürften, da sie ja für ihr (auf natürliche Weise determiniertes) Verhalten nichts könnten. Das gründet aber anscheinend wieder auf einen Dualismus: Einerseits sieht man einen Menschen wie ein Konglomerat von physikalisch-chemisch zu betrachtenden Teilen, die wechselwirken. Aber hinsichtlich seiner Leidensfähigkeit und Wertigkeit sieht man ihn anscheinend dann doch wieder nicht so. Ich glaube, da werden in unsinniger Weise eine naturwissenschaftliche und eine praktisch-moralische Sicht miteinander vermischt, die jede (nur) für sich ihren Sinn haben. Oder die so denken, sehen sich selbst (oder einen Richter oder den Gesetzgeber) außerhalb des deterministischen Geschehens, in das sie aber einen Straftäter einordnen. (Wer bis hierher gefolgt ist, dem brauche ich wohl nicht zu sagen, dass das kein Argument für zynischere Strafzumessungen sein soll.)

Anders handeln Können: Manche meinen auch, dass man nicht anders handeln oder wollen kann, als man will; und das sei ein Zeichen von Abwesenheit von Willensfreiheit. Mir erscheint das nur als eine eigenwillige Verwendung von „können“.

Man sagt auch, dass Menschen ihren Willen als frei erlebten, und dass das einen gewissen praktischen Sinn habe, aber nicht der Wirklichkeit entspreche. Damit kann ich für mich nichts anfangen: Ich habe meinen Willen noch nie als frei erlebt, außer in dem Sinn, dass ich in manchen Situationen in mancher Hinsicht machen kann, was ich will. (Wobei man wohl im Konkreten verschiedene Ebenen des Wollens und Wünschens unterscheiden muss: wenn ich eingesperrt bin und hinaus will, renne ich deswegen nicht dauernd gegen die Mauern. Auch Alltags-Redewendungen wie „Im Besitze meines freien Willens verfüge ich …“ oder Berichte über die Absicht eines Prominenten, in einiger Zukunft etwas Bestimmtes zu wollen, tragen hier sicher nichts bei.)

Oft scheint also diskutiert zu werden, ob der Wille denn nun frei sei (oder nicht). Das Begriffs-Problem, das ich habe (wie anscheinend auch mancher andere) scheint dabei einfach ignoriert zu werden. Also: Ein Mensch ist frei, insoweit er machen kann, was er will. Aber was eine Freiheit seines Willens darüber hinaus bedeuten soll, habe ich noch nicht erklärt gefunden. Auch jemand, der das Vorhandensein eines freien Willens bestreitet, sollte das näher erklären können, indem er sagt, was denn anders wäre, wenn er einen freien Willen hätte. –

In einer Art Nachtrag sehe ich nun doch einen bedingten Sinn im Reden von einem freien Willen: Wenn man die Handlungen einer Person als durch ihren Willen verursacht sieht, und den Willen u. a. durch die Konstitution und die stetig wirkenden Grundsätze dieser Person, und dann eine diesen inneren Gegebenheiten entgegenstehende insbesondere willentliche und vorübergehende Beeinflussung von außen (z.B. mit Drogen oder Nötigung) den Willen bestimmt, dann scheint eine Bezeichnung dieses als eines unfreien Willens plausibel. Eine damit verursachte Tat wird u.U. der Person vor Gericht nicht zugeschrieben. Der Täter war dann nicht eigentlich er. Und sein Wille vielleicht doch nicht eigentlich seiner. Wenn aber die Tat von seinen ihn (für dauernd) konstituierenden inneren Umständen wesentlich verursacht war (unter „freier“ Kenntnisnahme äußerer Umstände), kann man sie allenfalls dem genannten kleinen Männchen nicht zuschreiben, das dann anscheinend als er „selbst“ angesehen wird. Jedenfalls sind mir die Redeweisen, der Mensch habe schlechthin einen freien Willen oder habe keinen solchen, so dunkel wie zuvor. –

Hier sind einige bruchstückhafte Lektüre-Ergebnisse eingeflossen. Dieser Blog-Eintrag sollte aber keine abgerundete Abhandlung werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.